Kognitive Verfahren und Entspannungstechniken

Schmerzbewältigungstraining

Unter "Schmerzbewältigungstraining" versteht man Übungen, die bei chronischen Schmerzkranken ein neues und/oder erweitertes Verhaltensrepertoire im Umgang mit den Schmerzen erzeugen sollen. Dafür ist eine fachübergreifende Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen, Beschäftigungs- und Physiotherapeuten und anderen nicht-medizinischen Berufsgruppen erforderlich. Innere Einstellungen und Überzeugungen, Verhalten und Gefühle können schmerzverstärkend und schmerzauslösend wirken. Diese Faktoren zu verändern ist der Schwerpunkt der Therapie.

Bewältigungsübungen für Schmerz und Streß: Abhängig von einer persönlichen Verhaltensanalyse lernen Sie, schmerzauslösende und schmerzverstärkende Ereignisse zu erfassen (vor allem aber auch solche Ereignisse, in denen es ihnen gut geht und die Schmerzen nachlassen), sie zu analysieren und daraus neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Neben der Selbstbeobachtung sind Rollenspiele und Verhaltensübungen von Bedeutung.

Wichtig ist: Sie müssen die Behandlungsprinzipien genau verstehen und die Übungen auch zu Hause durchführen.

Die zu erlernenden Bewältigungsstrategien sollten auf Ihren bestehenden Fertigkeiten aufbauen und müssen eine persönliche Bedeutung für Sie haben. Ebenso wichtig ist es, daß im Rahmen des Trainings Veränderungen in Ihrem beobachtbaren Verhalten erlernt und eingeübt werden. Jahrelange Schmerzen führen bei vielen Patienten zu negativen Veränderungen im privaten und beruflichen Bereich. Ein Kommunikations- und Selbstsicherheitstraining kann helfen, die eigene Person positiver zu sehen.

Reduktion von Schmerzmitteln: Bei vielen Schmerzpatienten ist ein Schmerzmittelfehlgebrauch zu beobachten. Schmerzmittel werden als "Krücke" oder "vorbeugend" genommen. - Nach dem Motto: "Ich nehme lieber schon mal eine Kopfschmerztablette, damit ich heute auch keine Kopfschmerzen bekomme." - Vor einem Schmerzbewältigungstraining ist in diesen Fällen zunächst ein konsequentes Absezten der Schmerzmittel erforderlich.

Aktivitätsregulation: Manchmal kommt es durch übermäßige Aktivität (Menschen, die immer "in action" sind) zur Schmerzauslösung. Um solch eine Hyperaktivität zu reduzieren, ist es sinnvoll bestimmte Ruhephasen in die Organisation des eigenen Tagesablaufs einzuplanen. Es ist nützlich mit Ihnen zu überlegen, wie gezielte Entspannungsphasen Ihre Leistungsfähigkeit verbessern können.
Häufiger trifft man aber den extrem inaktiven Schmerzpatienten, weil er den Schmerz oft als Zeichen interpretiert, daß Aktivität die Schmerzen verstärkt. Diese Patienten gehen so weit, daß sie Bewegungen fast ganz vermeiden. Dabei unterscheiden sie nicht, ob es sich um Bewegungsschmerz in untrainierten Muskeln oder um anderweitig verursachten Schmerz handelt.
Eine in den verhaltenstherapeutischen Rahmen eingepaßte sanfte Krankengymnastik kann die Angst vor der Bewegung reduzieren und ein gesundes Verhalten aufbauen. Die sinnvollen körperlichen Aktivitätssteigerungen und deren Protokollierung sind integrales Element der "Hausaufgaben".
Der wichtigste Bestandteil des Schmerzbewältigungstrainings ist die Förderung von angenehmen Aktivitäten und von Genuß.

Da es nicht genügt, daß Sie wissen, wie sie sich anders verhalten können, kommt der Erfüllung der "Hausaufgaben" eine wichtige Bedeutung zu. Sie können lernen, Ihr Verhalten in konkreten Situationen zu verändern. Problematische Situationen werden dazu mit Ihnen besprochen, und die Anwendung der Bewältigungsmöglichkeiten im Rollenspiel geübt.
Fortschritte und Probleme werden von Ihnen protokolliert und in den Therapiesitzungen diskutiert. Im Behandlungsverlauf werden diese Diskussionen immer wichtiger. Die Verstärkung jeglichen Fortschritts ist dabei ganz wesentlich. Wie die erzielten Fortschritte aufrechterhalten werden können und wie Sie mit Rückfällen fertig werden, hängt vor allem davon ab, wie stark Ihr Glaube an Ihre Selbstkontrolle ausgeprägt ist. Sie sollten gegen Ende der Behandlung in der Lage sein, flexibel und ohne Panik auf Probleme zu reagieren, neue Schmerzepisoden nur als Auslöser für bewältigendes Verhalten zu verstehen.

Wichtig ist: Eine definierte Anzahl von Therapiesitzungen und fest eingeplante Sitzungen zur Auffrischung fördern die Festigung des Therapieerfolges.

Entspannungstherapie

Ein Entspannungstraining ist eine Basistherapie für viele Schmerzpatienten und wird meistens an den Anfang verhaltenstherapeutischer Maßnahmen gestellt. Die Entspannung reduziert beim chronischen Schmerz die schmerzverstärkende Verspannung, lenkt vom Schmerz ab und kann helfen, ein Gefühl der Kompetenz zu vermitteln. Es können verschiedene Entspannungstechniken eingesetzt werden. Die bekanntesten sind:

  • Progressive Muskelentspannung
  • Autogenes Training
  • Biofeedback-Verfahren
  • Imaginative Verfahren
  • Meditative Verfahren
  • Atemtechniken.

Der hohe Stellenwert von Entspannungstechniken für die Schmerztherapie basiert auf folgenden Punkten:

  1. Schmerz wirkt physiologisch als Stressor, führt zu einer generellen Erregung und verursacht langfristig psychosomatische Beschwerden. Da die Entspannung physiologisch entgegengesetzt zur Streßreaktion des Körpers wirkt, kann man mit den Übungen auch den Auswirkungen von Schmerzen entgegenarbeiten. Sie verhindern damit eine positive Rückkopplung von Schmerz und Streß.
  2. Sie bekommen ein Empfinden für Verspannungen der Muskulatur und lernen, wie Sie sie unterbrechen oder sogar vermeiden können.
  3. Im entspannten Zustand stellt sich gedanklich ein Gefühl von Ruhe und Wohlbehagen ein. Das ist wiederum entgegengesetzt zum Schmerzerleben.
  4. Der Bewußtseinszustand in der Entspannung lenkt vom Schmerz ab und kann ihn teilweise oder ganz ausblenden.
  5. Sie erfahren, daß Sie etwas gegen Ihren Schmerz tun können und ihm nicht hilflos ausgeliefert sind.
  6. Auch Anspannungen auf psychischer Ebene werden besser wahrgenommen. Dadurch werden persönliche Streßsituationen bewußt, die schmerzauslösend oder - verstärkend sein können.
  7. Der Umgang mit Alltagsbelastungen wird durch Entspannung positiv beeinflußt - Gelassenheit statt hilfloser Aufregung.

Durch Entspannungsübungen wird eine Umschaltung im Bereich des Zwischenhirns (Hypothalamus-Region) erreicht, die sich entgegengesetzt zur Notfallreaktion oder Streßreaktion verhält und als Gegenregulation eingesetzt werden kann. Aus dieser Umschaltung resultiert eine Senkung der Atemfrequenz, der Herzfrequenz, des Blutdrucks, des Muskeltonus, der Schweißabsonderung etc. Subjektive Auswirkungen sind ein Gefühl der Ruhe und des Wohlbefindens, Schläfrigkeit und Wärmeempfinden. In neueren Untersuchungen wurden außerdem Einwirkungen auf das Immunsystem und den Endorphinspiegel beschrieben.

Im Rahmen der psychologischen Schmerztherapie kommt heute vor allem der progressiven Muskelentspannung nach JACOBSEN, dem Biofeedback, der Hypnose, den imaginativen Techniken eine Bedeutung zu. Entspannungstechniken und imaginative Verfahren sind insbesondere bei Patienten angezeigt, die Verspannungen, berufliche und familiäre Belastungen, vegetative Störungen etc. aufweisen.

Prinzipielle Kontraindikationen gibt es für die Entspannungsverfahren nicht.

Das Autogene Training ist für Schmerzpatienten oftmals weniger gut geeignet, da die Wahrnehmung feiner Körperveränderungen häufig von den Schmerzen überdeckt wird. Das Autogene Training verlangt längere Übung und Geduld, die Patienten mit chronischen Schmerzen selten aufbringen.

Progressive Muskelentspannung [nach Jacobsen]

Die Jacobsen-Muskelrelaxation hat für Schmerzpatienten viele Vorteile: Es ist eine Entspannungstechnik, die leicht zu erlernen ist und schnell merkliche Erfolge im Vegetativum hervorbringt, z.B. Verbesserung des Schlafes und der Erholungsphasen. Das Verfahren arbeitet mit Anspannung und Entspannung verschiedener Muskelgruppen, stellt dabei die verlorengegangene Rhythmik wieder her und zeigt den Betroffenen, welche Teile ihres Körpers gut funktionieren. Schmerzhafte Partien werden nämlich ausgespart bzw. umgangen. Das Jacobson-Training ist außerdem ein Wahrnehmungstraining für Körperbefindlichkeit bei Patienten, deren Aufmerksamkeit notorisch nach außen, d.h. auf die Umwelt gerichtet ist. Ihre Selbstwahrnehmung beschränkt sich auf den Schmerz. Viele Schmerzen verschlimmern sich dadurch, daß die Betroffenen erste Anzeichen und Vorläufer wie z.B. Muskelverspannungen oder Stimmungsänderungen (etwa vor Migräneanfällen) nicht beachten.

Biofeedback

Auch das Biofeedback ist in erster Linie ein Wahrnehmungstraining. Bei diesem Verfahren werden körperliche Indikatoren für Anspannung/ Entspannung sichtbar und/oder hörbar zurückgemeldet und können von Ihnen so selbst beeinflußt werden. Das in der Schmerztherapie am häufigsten angewandte Verfahren ist das EMG-Feedback, das den Muskeltonus rückmeldet. Besonders für solche Patienten, die einen eher technischen Zugang zu ihrem Körper (im Sinne einer Körpermaschine) haben, ist es eindrucksvoll zu sehen bzw. zu hören, daß sie mittels ihrer Vorstellungskraft Körperprozesse beeinflussen können, die gemeinhin als "autonom" gelten. Es ist wichtig Ihnen im Rahmen des BiofeedbackTrainings als zweiten Schritt zu zeigen, wie das gleiche Ergebnis auch durch Entspannung und Vorstellungskraft allein erreichbar ist.

Eine besondere Form des Biofeedback wurde für die Migränebehandlung entwickelt, das Vasokonstriktionstraining. Hier lernen Sie, die Weite der Kopfschlagadern zu verändern. Wie bei allen anderen psychologischen Verfahren in der Migränebehandlung handelt es sich auch hierbei um eine Intervallbehandlung. Bei Migräne kommt es vor allem darauf an, den vegetativen und zentralnervösen Aufschaukelungsvorgang durch gegensteuernde Maßnahmen herunterzuregulieren und frühzeitig zu unterbrechen, d.h. schneller zu sein als der Anfall. Hierfür ist es jedoch nötig, daß die Migränepatienten frühe Anzeichen wahrnehmen lernen und darauf mit Rückzug, also gewissermaßen mit "Auszeit", reagieren. Die Migräne als Reizverarbeitungsstörung, die im Sinne eines Systemzusammenbruchs bei Reizüberflutung zu verstehen ist, fordert geradezu, sich aus dem Bombardement der Außenreize zurückzuziehen. Als Intervallprophylaxe sind auch Ausdauersport, Entspannung in Bewegung, z.B. Qi Gong, sowie Ruhe und Anspannung im Wechsel zu empfehlen.

Bei Migräne und anderen psychosomatischen Schmerzen, bei denen oft kein erklärungskräftiger somatischer Befund vorliegt, handelt es sich um muskuläre, vegetative und zentralnervöse Regulations- bzw. Rhythmusstörungen. Da alle diese Funktionen rhythmisch geordnet sind, können sie entgleisen, wenn die Anspannungsphasen durch übergeordnete Werthaltungen und Lebensgewohnheiten überdehnt werden. Rücken- und Kopfschmerzpatienten gelten, als "Durchhalter", die ihre Arbeitszeit an der Aufgabe, nicht an ihrem Befinden ausrichten. Die gestörte individuelle Rhythmik wieder in Ordnung zu bringen, erscheint hier das Wichtigste. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch von Ordnungstherapie.

Hypnose und Hypnotherapie

Hypnose ist der Schmerzbehandlung seit alters her bekannt. Zum einen ist Hypnose als wirksame Technik zur Linderung akuter Schmerzen z.B. zur Schmerzausschaltung ("Betäubung") in der Zahnmedizin oder bei schmerzhaften Eingriffen bekannt.

Hier wird durch Fokussierung der Wahrnehmung auf ein anderes Ereignis oder eine Vorstellung, bei gleichzeitiger psychophysischer Entspannung, eine Dissoziation des Bewußtseins erreicht, welche die Schmerzwahrnehmung völlig auszublenden imstande ist.

Auch bei chronischen Schmerzen lassen sich nach sorgfältiger Anleitung und anschließender Selbsthypnose Veränderungen in der Schmerzwahrnehmung herstellen, was für diese Patienten eine effektive Erholungsphase bringt. Bei der Behandlung chronisch psychosomatischer Schmerzen wird vermehrt Hypnotherapie nach MILTON ERICKSON angewandt, die mit indirekten hypnotherapeutischen Verfahren arbeitet. Der Vorteil der Hypnotherapie liegt in ihrer direkten Orientierung auf Problemlösung, nicht auf Problemanalyse. Schmerzen werden als Symptom dafür betrachtet, daß der Körper gegen Streß, Überlastung, Überforderung protestiert und einen Mangel einklagt (Schmerz als Hinweis auf Fehlregulation). Man geht davon aus, daß der Patient alle Kompetenzen hat, diesen Mangel zu beheben, sie aber (aus gutem Grund) nicht anwendet.